„Empfehle ich einem querschnittsgelähmten Freund eine Stammzelltherapie in einer Klink im fernen Singapur? Auf der Website beschreibt der fernöstliche Anbieter das Verfahren der Stammzellentnahme und das Injizieren der Stammzellen dort, wo die Nerven geschädigt sind. Nach Abschluss der Behandlung ist der Patient sicher um 15.000 € Behandlungskosten ärmer, aber den Patientenberichten zur Folge erlangen viele Patienten teilweise oder gar vollständig ihre Fähigkeit zu gehen wieder!“ Mit diesem und anderen fiktiven Szenarien setzten sich die Schülerinnen und Schüler der Biologiegrundkurse und des Biologieleistungskurses der Jahrgangsstufe Q1 (Klasse 11) am Kopernikus-Gymnasium im Rahmen des Studientages zur Stammzellforschung in mehreren Workshops auseinander. Was vor sechs Jahren mit ersten Gesprächen auf einer Fortbildungsveranstaltung begann, ist inzwischen zu einem festen Bestandteil im Schulprogramm am Kopernikus-Gymnasium geworden. Der Studientag zur Stammzellforschung erfuhr jetzt seine fünfte Auflage. Dr. Sira Groscurth und Dr. Benjamin Huppert vom Stammzellnetzwerk NRW führten die Schüler*innen in zwei Impulsvorträgen an diesen interessanten Forschungsbereich heran. Das Stammzellnetzwerk NRW mit Sitz am Life Science Center in Düsseldorf verknüpft nicht nur Forschungsergebnisse verschiedener Forschungseinrichtungen miteinander, sondern schafft auch Raum für interdisziplinäre Betrachtungsweisen der Stammzellforschung.
Die promovierte Biologin Dr. Sira Groscurth eröffnete ihren Vortrag mit der simplen Frage: Was sind eigentlich Stammzellen? Die Schüler erfuhren, dass sich Stammzellen grundsätzlich vermehren können und in der Lage sind, sich weiter in Gewebszellen zu differenzieren. Je nach Zellteilungsstadium kann aus einer Stammzelle ein neuer Organismus entstehen oder eine Zelle, die bestimmte Gewebetypen hervorbringt. Nachdem die biologischen Grundkenntnisse vermittelt waren, gab Frau Dr. Groscurth Einblicke in die Methoden der Stammzellgewinnung sowie in die Arbeitsfelder der aktuellen Forschung. Ihre Ausführungen zur Erschaffung und zur Weiterentwicklung sogenannter induzierter pluripotenter Stammzellen (IPS) versetzte die Schüler*innen in die Lage sowohl die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen programmierter Stammzellen zu erkennen. Im anschließenden Wissensquiz à la „Wer wird Millionär“ konnten die Schüler*innen ihr Wissen auf die Probe stellen.
Dr. Benjamin Huppert stellte den Schülern Überlegungen zur ethischen Bewertung der Stammzellforschung dar. Dabei sind nicht nur die Ziele der Stammzellforschung im Auge zu behalten, sondern auch die Wahl der Mittel, mit denen diese Ziele verfolgt werden, denn daraus ergeben sich unmittelbare Folgen für Patienten. Das Abwägen dieser Folgen führt dann zu einer ethischen Bewertung. Begleitet wird diese Bewertung von rechtlichen Vorgaben, die in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich sein können. Vor diesem Hintergrund schilderte Herr Dr. Huppert den Weg von der Idee eines Forscherteams bis zum zugelassenen Medikament, der zahlreiche Testphasen durchläuft und mitunter 15 Jahre andauert. Zudem setzt sich das Gesundheitssystem in Deutschland für gleiche Behandlungsmöglichkeiten der Patienten ein. Damit entscheidet nicht der Geldbeutel, sondern die Zugehörigkeit zu einer Krankenkasse über die Behandlung.
Ausgestattet mit dem Wissen zur Stammzellforschung und mit dem Einblick in ethische und juristische Betrachtungsweisen gingen die Schüler*innen in vier Workshops und erarbeiteten zu den verschiedenen Fallbeispielen Lösungsansätze, die sie anschließend im Plenum vorstellten und diskutierten. Der skizzierte Fall der Therapieempfehlung für den querschnittsgelähmten Freund in Singapur löste eine Diskussion aus. Nachdem anfänglich der „Griff nach dem letzten Strohhalm“ für viele das Argument für eine Therapieempfehlung darstellte, kamen im Verlauf der Diskussion Zweifel auf. Die Frage nach einer ausreichenden Erprobung des Verfahrens und möglicher negativer Folgen für den Patienten konnte nicht beantwortet werden. Unter ethischen Aspekten erschien die Teilnahme an dieser Therapie eher fragwürdig und verlangte nach kritischen Nachfragen.
Mit vielen Eindrücken endete der Vormittag, aber nicht ohne die sechste Auflage für das Jahr 2021 zu vereinbaren. (www.stammzellen.nrw.de)